Dettensee
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Jüdische Geschichte - Die jüdische Gemeinde

[Q] Die Informationen auf dieser Seite entstammen, soweit nicht anders angegeben, folgender Quelle: Herbert Zander: Die jüdische Gemeinde Dettensee 1579 - 1939. In: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, Band 45 (2009), Seite 61ff.

Die rechtliche Lage der Juden in Dettensee

Im 16. Jahrhundert kollidierten im Heiligen Römischen Reich zwei verschiedene Auffassungen darüber, wer das Recht hatte, Juden die Ansiedlung in bestimmten Orten zu erlauben. Zum einen war es formal dem Kaiser vorbehalten, Juden gegen die Zahlung von Geldern als Schutzjuden die Niederlassung zu gestatten. Dieses Recht wurde im Laufe der Zeit weiter auf Kurfürsten, Fürsten und Reichsstände heruntergebrochen. Zum anderen verliehen die Landesherrschaften, die sich im HRR seit dem 14. Jahrhundert herausbildeten, eigenmächtig Aufenthaltsrechte an Juden.

Juden waren in jedem Falle zwar nicht rechtlos, aber keine Untertanen der jeweiligen Herrschaft und rechtlich von der übrigen (christlichen) Bevölkerung streng getrennt. Schwere Einschränkungen mussten sie unter anderem bei Handel, Wohnungserwerb und Heirat hinnehmen, zumal ihnen durch eine Klausel in den Schutzbriefen jederzeit die Ausweisung drohte. In Dettensee lauteten die Schutzbriefe fast immer auf das Oberhaupt einer Familie und waren – von der erwähnten Klausel abgesehen – auf unbeschränkte Zeit ausgestellt. In Haigerloch galt der Schutzbrief dagegen für die ganze jüdische Gemeinde, aber nur auf bestimmte Zeit. Die Schutzgelder, die die Dettenseer Juden zu entrichten hatten, sowie ihre übrigen Steuern und Gebühren, waren dabei geschätzte Einnahmequellen der wechselnden Besitzer und endeten erst mit der weitgehenden Emanzipation der Juden in Hohenzollern im Jahr 1837.

Die Anfänge der Gemeinde

Es ist nicht bekannt, auf welcher genauen rechtlichen Grundlage die Ansiedlung von Juden in Dettensee erfolgte; möglicherweise machten hier die Grafen von Nellenburg und Herren zu Tengen, die Besitzer Dettensees von 1528-1591, hier von ihren hoheitlichen Rechten Gebrauch. Die ersten Juden kamen vermutlich in der Zeit zwischen 1572 und 1575 unter Graf Oswald von Nellenburg nach Dettensee. Als Herkunftsorte kommen Empfingen und Mühringen in Frage. Erster namentlich bekannter jüdischer Einwohner Dettensees war Barech im Jahre 1579, der im Rechtsstreit mit dem Christoph Ladislaus, dem letzten Nellenburger lag. Danach gibt es immer wieder sporadische Erwähnungen jüdischer Bewohner; der erste lesbare Grabstein auf dem Mühringer Friedhof, der Dettensee als Herkunftsort des Bestatteten nennt, datiert von 1659.

Bis zur Übernahme Dettensees durch das Kloster Muri 1715 umfasste die Dettenseer jüdische Gemeinde nie mehr als fünf Familien. Die Wohnverhältnisse scheinen in dieser Zeit noch erträglich gewesen zu sein.

Die Gemeinde im 18. Jahrhundert

Diagramm
Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Dettensees

Quellen: [Q1], [Q2]

Das Kloster Muri betrieb seit den 1720er Jahren durch die Bereitstellung von Wohnraum aktiv die Vergrößerung der jüdischen Gemeinde in Dettensee. Der Bevölkerungszuwachs besonders in den 1750er Jahren ging mit Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde sowie zwischen der christlichen und jüdischen Bevölkerung einher. Vermutlich hatte der damalige Statthalter des Klosters Muri, der in Glatt ansässige Pater Fintan Guntlin, im höheren Alter nicht mehr die Kraft, für geordnete Zustände zu sorgen. Ab 1764 versuchte die Herrschaft verstärkt, das geltende Recht wieder durchzusetzen, unter anderem durch eine persönliche, an ein Verhör grenzende Befragung jedes Familienoberhaupts sowie die Einsetzung eines staatlichen Aufsehers (Barnas) aus den Reihen der jüdischen Gemeinde, der strafbare Handlungen bei der Obrigkeit anzeigen musste.

Emanzipation und Blütezeit im 19. Jahrhundert


Jüdisches Gasthaus „Kronen“: Eingangstür

Gasthaus Kronen
Jüdisches Gasthaus „Kronen“, bis 1885 im Besitz von Abraham Hirsch

Die Juden wohnten das 18. Jahrhundert hindurch in drei herrschaftlichen Häusern, die vornehmlich als Einnahmequelle errichtet wurden. Beim Bau des dritten Gebäudes dürften auch humanitäre Gründe eine Rolle gespielt haben, da die Wohnzustände in den beiden älteren Gebäuden nicht mehr tragbar waren. Auch die begrenzte Zahl jüdischer Familien am Ort ließe sich durch diesen knapp gehaltenen Wohnraum verstehen.

Die Verhältnisse in den Gebäuden waren erbärmlich. In den beiden älteren Bauten, die auch in miserablem baulichem Zustand und nach zeitgenössischer Meinung einsturzgefährdet waren, waren neben sämtlichen Familien auch ein Betsaal und ein Schulraum untergebracht. Mehr als zwei Räume besaß keine Familie, und das stete Bitten an den Abt von Muri, mehr Raum zur Verfügung zu stellen, blieb erfolglos. Im Jahre 1764 lebten auf 595 m² 114 Personen. In den 1780er Jahren wurde zwar ein neues Gebäude errichtet, das aber die Wohnsituation nicht merklich verbessern konnte.

Dennoch wuchs die jüdische Gemeinde, auch nach dem Übergang Dettensees 1806 zu Hohenzollern und einer weiteren Diskriminierung der Juden durch eine hohenzollerische Verordnung von 1818, die für die Gemeine wirtschaftlich existenzbedrohend war. Im Jahre 1813 wurde es den jüdischen Bewohnern erlaubt, ihre Häuser zu kaufen. 1820 konnte eine Synagoge errichtet werden, 1822 sogar ein eigenes Rabbinat. Man gründete 1826 auch eine jüdische Volksschule. Im Jahre 1837 kam es dann zur weitgehenden Angleichung der Rechtsstellung der Juden an die allgemeine Gesetzgebung. Der Übergang an Preußen 1850 erbrachte eine weitere Verbesserung der Rechtslage, die Reichsgründung 1871 schließlich die völlige rechtliche Gleichstellung der Juden.

Die jüdischen Männer waren damals bis auf einen Schulmeister, einen Vorsänger und drei Metzger allesamt Händler. Doch die Möglichkeiten des Handels blieben durch Erlasse der Verwaltung stark beschränkt, sodass etliche Juden nur mit Almosen und Bettelei überleben konnten. Die wirtschaftliche Lage der Dettenseer Juden schildert ein Bericht des Oberamtes aus dem Jahr 1827. Darin heißt es, die Lage verschlechtere sich täglich, und [o]hne Eigentum, ohne Grund und Boden, ohne Handwerk, nur auf den Schacherhandel beschränkt, sei ein weiterer ökonomischer Abstieg nicht zu verhindern. Selbst eine arme Christenfamilie werde in ihrem Elend von den armen Judenfamilien übertroffen.

Auch nach den Aufhebungen der schwersten Einschränkungen für Juden scheiterten viele Versuche, in anderen Berufen Fuß zu fassen. Wenn es gelang, ging der berufliche Erfolg häufig mit einem Wegzug aus Dettensee einher. Auch viele junge Leute, die des Hausiererhandels überdrüssig waren, verließen den Ort, sodass die ländliche Dettenseer Gemeinde ab dem Moment, als die rechtliche Unterdrückung aufgehört hatte, zu schrumpfen begann.

Niedergang und Ende

Nachdem die jüdische Gemeinde 1829 mit 173 Personen ihren höchsten Bevölkerungsstand erreicht hatte, begann bald darauf der Niedergang. Die Auswanderungsbewegung nach Nordamerika erfasste vor allem die Ärmsten aller Konfessionen in Dettensee; insgesamt wanderten 82 in Dettensee geborene Juden nach Amerika aus. Während unter den Christen ansonsten aber keine signifikante Abwanderung auftrat, verlor die jüdische Gemeinde bis 1895 über ein Drittel ihrer Mitglieder-Höchststärke: Die Hoffnung auf bessere Lebens- und Berufsbedingungen in den Städten (z.B. Hechingen, Horb, Offenburg und Rottweil) ließ die jüdische Gemeinde innerhalb zweier Generationen stark überaltern und schrumpfen.

Waren es 1886 noch 143 israelitische Einwohner, zählte man 1890 nur noch 100, 1904 gerade noch vier. Schon 1902 war die Schule geschlossen worden. Den Armenfonds übernahm die jüdische Gemeinde Haigerloch. Vom Ende der jüdischen Gemeinde und dem Besuch bei den beiden letzten noch in Dettensee lebenden Juden berichtet ein Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ aus dem Jahr 1930.[Q]
Der letzte männliche jüdische Bürger von Dettensee, Hermann Hirsch, schloss 1929 „auf alle Zeiten“ einen Übergabevertrag mit der politischen Gemeinde Dettensee ab. Darin verpflichtete sich die Gemeinde zum Schutz und Erhalt des Friedhofes und erhielt als Gegenleistung das gesamte Vermögen der jüdischen Gemeinde. Auch der Abriss der Synagoge im Jahre 1930 war Teil der Vereinbarungen. Die damaligen Einwohner Dettensees waren vom Ende der jahrhundertealten jüdischen Gemeinde und dem Verschwinden der Synagoge auch menschlich berührt.

Am 1. Juli 1934 starb Hermann Hirsch, womit die jüdische Gemeinde in Dettensee formal erlosch. Seine Schwester Louisa allerdings wohnte noch bis zum 22. August 1942 in Dettensee. An diesem Tag wurde die alte Frau nach Theresienstadt deportiert. Von dort kam sie am 26. September ins Vernichtungslager Maly-Trostinec, wo sie ermordet wurde.

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